Kleine Schriftgeschichte. Teil II. Der russische Gutenberg

Mit einhundert Jahren Verspätung – Mitte des 16. Jahrhunderts – erreichte der Buchdruck das Russische Reich. Zar Ivan der Schreckliche befahl die Einrichtung der ersten russischen Druckwerkstatt. Die Schwarze Kunst hatte in Russland mit freiem Unternehmertum – wie einst in Mainz – wenig zu tun.

Die erste Druckerei im Russischen Reich wurde auf Geheiß von Iwan dem Schrecklichen nah am Kreml in Moskau gegründet.

1553 lud der Zar einen Druckermeister aus Dänemark ein: Johannes Messenheim. Von dessen Aktivitäten in den ersten zehn Jahren weiß man wenig. Die Bücher wurden leider ohne Impressum gedruckt. Doch die offizielle Geschichte stilisierte den in Moskau geborenen (und vermutlichen Lehrling von Johannes Messenheim) Iwan Fjodorow zum russischen Gutenberg.

Das erste russische Buch, gedruckt von Iwan Fjodorow. Moskauer Apostolar, 1564. Bemerkenswert, dass der Drucker persönlich ein Nachwort verfasst hat.

Die Doppelseite ist kunstvoll komponiert. Links ist eine Darstellung des Apostels Lukas zu sehen. Die Überschrift auf der rechten Seite ist in Rot ausgezeichnet. Fjodorov verwendete hierfür die kunstvolle Schrift Vjaz, eine besonders feierliche und komplizierte Schriftform, mit mehreren hundert Ligaturen, Verschachtelungen, Unterschneidungen, Unterordnungen einzelner Buchstabengruppen sowie Abkürzungen. Der Text beginnt mit einem illustrierten Initial über fast sechs Zeilen. Die Druckschrift formt die russische Handschrift der damaligen Zeit – russische Halbunziale – nach.

Unterschrift von Iwan Fjodorow in einem Brief an den Kurfürsten von Sachsen, 1583.

Doch obwohl Iwan Fjodorow in die Geschichte einging, erntete er für seinen beruflichen Einsatz in Moskau alles andere als Ruhm und Ehre. Die ersten Bücher fanden keine dankbare Fan-Gemeinde. Die klassischen Buchschreiber fürchteten um ihr Auskommen. Die Konfrontation gipfelte in einer Brandstiftung. Iwan Fjodorow wurde der Ketzerei bezichtigt. Um sein Leben fürchtend floh er nach Westen in das benachbarte Fürstentum Polen, und kehrte nie wieder nach Moskau zurück.

Weitere 150 Jahre blieb die russische Buchkunst unverändert.

Die erste illustrierte Fibel von Wassilij Burtsow, 1637.

Mit der Zeit wirkten die Bücher immer exotischer und altmodischer. Der deutsche Philologe Heinrich Wilhelm Ludolf (1655–1712) schrieb Ende des 17. Jahrhunderts die erste Grammatik der russischen Sprache Grammatica Russica und formulierte das Sprachdilemma so: »Gesprochen wird Russisch, aber geschrieben — Slawisch.«

Religiöse Bücher wurden auch noch viele weitere Jahrhunderte mit altrussischen Lettern gedruckt.
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