
Kleine Schriftgeschichte. Teil II. Der russische Gutenberg
Mit einhundert Jahren Verspätung – Mitte des 16. Jahrhunderts – erreichte der Buchdruck das Russische Reich. Zar Ivan der Schreckliche befahl die Einrichtung der ersten russischen Druckwerkstatt. Die Schwarze Kunst hatte in Russland mit freiem Unternehmertum – wie einst in Mainz – wenig zu tun.

1553 lud der Zar einen Druckermeister aus Dänemark ein: Johannes Messenheim. Von dessen Aktivitäten in den ersten zehn Jahren weiß man wenig. Die Bücher wurden leider ohne Impressum gedruckt. Doch die offizielle Geschichte stilisierte den in Moskau geborenen (und vermutlichen Lehrling von Johannes Messenheim) Iwan Fjodorow zum russischen Gutenberg.

Die Doppelseite ist kunstvoll komponiert. Links ist eine Darstellung des Apostels Lukas zu sehen. Die Überschrift auf der rechten Seite ist in Rot ausgezeichnet. Fjodorov verwendete hierfür die kunstvolle Schrift Vjaz, eine besonders feierliche und komplizierte Schriftform, mit mehreren hundert Ligaturen, Verschachtelungen, Unterschneidungen, Unterordnungen einzelner Buchstabengruppen sowie Abkürzungen. Der Text beginnt mit einem illustrierten Initial über fast sechs Zeilen. Die Druckschrift formt die russische Handschrift der damaligen Zeit – russische Halbunziale – nach.

Doch obwohl Iwan Fjodorow in die Geschichte einging, erntete er für seinen beruflichen Einsatz in Moskau alles andere als Ruhm und Ehre. Die ersten Bücher fanden keine dankbare Fan-Gemeinde. Die klassischen Buchschreiber fürchteten um ihr Auskommen. Die Konfrontation gipfelte in einer Brandstiftung. Iwan Fjodorow wurde der Ketzerei bezichtigt. Um sein Leben fürchtend floh er nach Westen in das benachbarte Fürstentum Polen, und kehrte nie wieder nach Moskau zurück.
Weitere 150 Jahre blieb die russische Buchkunst unverändert.

Mit der Zeit wirkten die Bücher immer exotischer und altmodischer. Der deutsche Philologe Heinrich Wilhelm Ludolf (1655–1712) schrieb Ende des 17. Jahrhunderts die erste Grammatik der russischen Sprache Grammatica Russica und formulierte das Sprachdilemma so: »Gesprochen wird Russisch, aber geschrieben — Slawisch.«
